Tadellos verlief die WM für Kampfrichterin Ramona Scherer © Jörg Richter

Nach WM kündigt DRB schonungslose Analyse an

Eine lange Woche liegt hinter den deutschen Ringern und Ringerinnen, eine Woche mit wenig Höhen, dafür vielen Tiefen. Gab es vor einem Jahr in Oslo noch vier Medaillen, so gingen die Männer und Frauen in Belgrad 2022 leer aus. Zumindest lieferten die beiden Kampfrichter Ramona Scherer und Karl-Peter Schmitt eine starke Leistung auf der Matte ab.

„Wir werden die Kämpfe in den nächsten Tagen mit den Bundestrainern genau analysieren“, will Sportdirektor Jannis Zamanduridis eine schnelle und schonungslose Analyse. „Einige Athleten haben ihr Potential abgerufen, andere nicht und darüber muss man sprechen“, so Zamanduridis weiter.

Das Positive ist schnell aufgezählt: Idris Ibaev (77 kg/GR) schlägt den Vizeweltmeister von 2021 und Bronzemedaillengewinner der diesjährigen Europameisterschaft Sanan Suleymanov aus Aserbaidschan, unterliegt dann jedoch dem Kasachen Schadukaev. „Er muss in seinen Leistungen einfach noch etwas stabiler werden, bei einer solchen Meisterschaft muss man ‚zwei Nüsse knacken‘, um in Medaillennähe zu kommen“, bestätigt Bundestrainer Michael Carl seinem Schützling viel Potential. Auch Hannes Wagner (87 kg/GR) machte in den Vorrundenbegegnungen eine gute Figur, im Hoffnungsrundenduell hingegen stand er gegen Alex Kessidis (SWE) am Folgetag neben den Ringerstiefeln. Auch Etienne Kinsinger (60 kg/GR) hat sein gesamtes Können in die beiden Kämpfe geworfen und gegen den Weltmeister von 2019 und Olympiazweiten von Tokio Kenchiro Fumita aus Japan beim 5:9 ordentlich gekämpft. 

Bei den Frauen war es Francy Rädelt (76 kg), die ihre vorgegebene Marschroute gegen die Japanerin Yuka Kagami eingehalten hat, beim 1:2 fehlte am Ende ein explosiver Angriff. Auch Luisa Niemesch (62 kg) kann kaum ein Vorwurf gemacht werden, einem Sieg folgte die Niederlage gegen die Weltmeisterin der Jahre 2019 und 2021 Aisuluu Tynybekova (KGZ). 

Im Freistil war es Erik Thiele (97 kg/FR), der den Kanadier Nishan Randhawa mit 10:0 vorzeitig bezwang, dann jedoch am amtierenden Europameister Magomedkhan Magomedov (AZE) mit 4:11-Punkten scheiterte. „Eine Unachtsamkeit kurz vor der Pause nutzte Magomedov aus und machte vier Punkte, da wurde es dann sehr schwer für mich“, so der Ringer vom KAV Mansfelder Land/Eisleben nach dem Kampf.

Demgegenüber standen auch schwache Leistungen, Kämpfe ohne technischen Ansatz, ohne Kraft und Siegeswillen. Oftmals gab es bei knappen Rückständen an deutsche Kämpfer und Kämpferinnen Passivitätsverwarnungen, unverständlich für die deutschen Fans, die in der Stark-Arena vor Ort waren, oder beim Livestream am heimischen PC zusahen. Negativ fiel auf, dass kaum eine Führung verteidigt werden konnte, so zum Beispiel beim Kampf von Abdulmohammad Papi (63 kg), der Sekunden vor dem Abpfiff in Führung liegend die Siegpunkte an seinen Iranischen Gegner wieder abgab. Ebenso wie Sandra Paruszewski (57 kg), die Sekunden vor Ende des Achtelfinalduells gegen Esta Kolawole (NGR) eine 3:2-Führung noch aus der Hand gab. „Für mich ein ernüchterndes Ergebnis, nach den Erfolgen im Vorjahr und bei den Europameisterschaften, doch man sieht auch, eine Weltmeisterschaft ist eine ganz andere Hausnummer“, so Frauen-Bundestrainer Patrick Loes, der auf die extrem schwierige Auslosung verwies, aber auch auf knappe Entscheidungen. „Enttäuschend, dass wir diese vier oder fünf knappen Entscheidungen nicht für uns entscheiden konnten“, analysierte Loes mit seinem Trainerteam die Ergebnisse bereits in Belgrad, will aber auch die Leistungen der Frauen nicht nur auf die WM in Belgrad reduzieren. „Über das gesamte Jahr hinweg wurden im Frauenbereich viele gute Ergebnisse erzielt“, will Loes keine Untergangsstimmung verbreiten.

Dennoch: Zehn Siegen stehen in allen drei Disziplinen 24 Niederlagen in den Einzelvergleichen gegenüber. Keine Medaille für die deutschen Ringer und Ringerinnen, dafür viele Fragen – genau ein Jahr vor den Weltmeisterschaften 2023, bei denen auch die ersten Olympiatickets vergeben werden. Während im griechisch-römischen Stil eine breite Spitze mit Topringern aus vielen Nationen vorherrscht, dominieren bei den Frauen die Japanerinnen und US-Girls, im freien Stil lieferten sich die Iraner mit den Ringern aus den USA große Kämpfe um Titel und Medaillen. Die deutschen Ringer waren hier nur zum  Zuschauen verdammt. 

„Die Hoffnungen im Freistilbereich lasteten in Belgrad vor allem auf Horst Lehr im leichtesten Limit, der im Vorjahr nach 20 Jahren wieder eine Medaille im freien Ringkampf für den DRB gewann, hier nun diese knappe Entscheidung, wo im Videobeweis der Siegpunkt aberkannt und dem Kasachen zugesprochen wurde“, durchlebte Bundestrainer Jürgen Scheibe vor allem in diesem Duell ein Wechselbad der Gefühle, hob aber auch die Leistung von Erik Thiele hervor. Auch Scheibe haderte mit Leistungen von Athleten wie Alexander Semisorov oder Kevin Henkel, die ihre Leistungen nicht abrufen konnten, während der junge Johannes Mayer im Männerbereich noch Welpenschutz genießt.

„Die Ergebnisse der letzten Tage tun verdammt weh. Sowohl im griechisch-römischen Stil, im Freistil, als auch bei den Frauen konnten wir keine Medaille gewinnen und müssen nun erstmal unsere Wunden lecken“, erlebte auch DRB-Präsident Jens-Peter Nettekoven die WM vor Ort, will aber den Stab über die deutschen Teams nicht brechen. „Wir haben tolle Sportler und ein tolles Team dahinter, dass gemeinsam zeitnah die Ergebnisse analysiert und bei den nächsten Meisterschaften wieder angreift, es gibt definitiv nichts schönzureden und es wird ein hartes Stück Arbeit“, fordert der DRB-Präsident ebenfalls eine schonungslose Analyse.

Dem schließt sich auch DRB-Vizepräsident Sport Alexander Leipold an: „Wir werden kommende Woche eine Sitzung mit den Trainern und dem Sportdirektor haben, in der wir die Ergebnisse von Belgrad analysieren, um dann den Blick auf die Weltmeisterschaft 2023 zu richten, wo die ersten Tickets für die Olympischen Spiele 2024 in Paris vergeben werden“. 

Eine einwandfrei Leistung bot neben Ramona Scherer auch Kampfrichter Karl-Peter Schmitt bei der WM in Belgrad. © Jörg Richter

Die letzten Finalkämpfe im Freistil finden ohne deutsche Ringer statt, dennoch standen zwei Aktive in diesen Duellen um die Medaillen auf der Ringermatte. Kampfrichterin Ramona Scherer und Kampfrichter Karl-Peter Schmitt agierten die gesamte Woche über in den von ihnen geleiteten Begegnungen fehlerlos und verdienten sich innerhalb des internationalen Kampfrichterteams ihre Lorbeeren.